TheNextWe: Als Philosoph und „Denkbegleiter" hast du schon viele Vorstände zum Umdenken bewegt. Was bedeutet Mindset-Wandel, wie wir es nennen, für dich?
Christoph: Wichtig ist, dass wir uns zunächst einmal klar machen, dass die Art und Weise, wie wir denken und handeln, alles andere als selbstverständlich ist. Sie folgt bestimmten Denkgewohnheiten, Glaubenssätzen und Sichtweisen, die wir von unseren Eltern, durch unsere Erziehung oder Ausbildung übernommen haben, die wir aber kaum je in Frage stellen. Teilweise sind diese geistigen Parameter schon etwas angestaubt. In besonderem Maß gilt das für die Art und Weise, wie wir Wirtschaft denken – und organisieren. Das heute in Geltung stehende und an Hochschulen gelehrte ökonomische Mindset stammt in allen wesentlichen Punkten aus dem 18. Jahrhundert. Sein Menschenbild des rationalen Egoisten wurde sogar schon zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges entwickelt. Seine geistigen Instrumentarien sind schlicht und einfach überholt, und da sehe ich die Aufgabe eines philosophischen Denkbegleiters darin, das in der gegenwärtigen Wirtschaft herrschende Mindset ins Bewusstsein zu heben, seine Mängel erkennbar zu machen und vor allem: ein zeitgemäßeres, zukunftsfähigeres Denken zu entwickeln.
TheNextWe: Warum ist ein kollektives Umdenken gerade für erfolgreiche Unternehmen häufig schwierig?
Christoph: Das ökonomische System der Gegenwart belohnt diejenigen, die dem antiquierten liberalistischen Mindset folgen. Wer agiert wie ein rationaler Egoist, bedient dasjenige, was man ökonomische Rationalität nennt und darf auf ökonomischen Erfolg hoffen. Wer nichts anderes kennt als dieses Mindset, sieht wenig Grund, irgendetwas daran zu ändern. Allenfalls gehen ihm die Augen auf, wenn er feststellt, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Kurve fliegen oder dass seine Wirtschaftsform im großen Stil Toträume generiert; oder wenn irgendwann dann doch der ökonomische Erfolg ausbleibt. Nichts ist langlebiger und hartnäckiger als liebgewonnene Denkgewohnheiten; und wenn sie in einem System fest verankert sind, ist es außerordentlich schwierig, nicht nur einen oder zwei vorausschauende Entscheider dazu zu bewegen, einen Mindset-Wandel anzustrengen, sondern auch die komplette Belegschaft mitzunehmen. Es wird immer Bremser geben, die vom alten Denken profitieren.
TheNextWe: „Ihm gehen die Augen auf, wenn seine Wirtschaftsform im großen Stil Toträume generiert.” Was verstehst du im unternehmerischen Zusammenhang unter einem „Totraum”?
Christoph: Das ist ein Raum, in dem kein weiteres Wachstum möglich ist – weder unternehmerisches noch menschliches Wachstum. Wer nicht nachhaltig wirtschaftet, kann sich in diesem Raum wiederfinden.
„Wir haben uns angewöhnt zu glauben, alle Probleme durch immer neue Techniken oder Verfahren lösen zu können. Aber genau diese Denkweise funktioniert nicht mehr.‟
TheNextWe: Schon der antike Philosoph Epiktet sprach von der Bedeutung des Mindset: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinung, die wir über diese Dinge haben." Warum ist diese alte Weisheit nicht als Allgemeinbildung in unserer Zeit angekommen?
Christoph: Weil heute zu wenig philosophiert wird. Wir haben uns angewöhnt zu glauben, alle Probleme durch immer neue Techniken oder Verfahren lösen zu können. Aber genau diese Denkweise funktioniert nicht mehr. Wir werden den vielfältigen Herausforderungen der Zukunft – digitaler Wandel, demographischer Wandel, Klimawandel, geopolitischer Wandel – nicht durch neue Technologien beikommen, sondern nur durch ein neues Mindset. Das gleiche gilt für die Herausforderungen der Wirtschaft.
TheNextWe: Dabei ist Mindset-Wandel als Schlüssel für jede Transformation wichtiger denn je.
Christoph: Absolut, und eigentlich weiß das auch jeder. Ich kenne keinen CEO oder Unternehmer, der nicht längst kapiert hätte, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Aber nur die wenigsten haben den Mut, ihre Denkgewohnheiten radikal in Frage zu stellen. Genau damit aber geht jeder echte Mindset-Wandel los.
„Lasst uns ein Unternehmen wie einen Garten denken, in dem menschliches und monetäres Wachstum möglich ist, ein Ort der Lebendigkeit und nicht ein Totraum.‟
TheNextWe: Und wo endet er?
Christoph: Bei einem neuen Denken, zum Beispiel bei einer neuen Leitmetapher. Das alte Mindset denkt ein Unternehmen wie eine Maschine: Du hast eine Ressource, unterziehst sie einem möglichst effizienten und funktionalen Wertschöpfungsprozess und machst Gewinn. Unternehmensführung heißt: eine Maschine warten und ihre Funktionalität optimieren. Ich sage: Dieses Denken ist überholt. Lasst uns ein Unternehmen wie einen Garten denken, in dem menschliches und monetäres Wachstum möglich ist, ein Ort der Lebendigkeit und nicht ein Totraum. Wenn so ein Bild in den Köpfen und Herzen der Entscheider Wurzeln schlägt, dann kann sehr schnell sehr viel anders werden.
„Unternehmensführung ist mehr eine Kunst des Gärtnerns als eine Ingenieurskunst.‟
TheNextWe: Wir leben in einer Welt multipler und vernetzter Krisen, kurzum im Zeitalter der Polykrise. Was brauchen Entscheider, um in diesen Zeiten einen kühlen Kopf bewahren zu können?
Christoph: Begeisterung. Oder genauer: Geist. Ich wünsche mir Entscheider, die von einem guten Geist ergriffen sind – was etwas ganz anderes ist, als von ökonomischer Rationalität gesteuert zu werden. Begeisterung bedeutet: Leidenschaft für das Leben, für den Sinn, für die Menschen. Begeisterung aber kann man nicht machen. Sie lässt sich nicht erzwingen oder durch irgendwelche Begeisterungsexperten in Firmen implementieren. Man kann sie nur kultivieren, Räume schaffen, in denen sie wachsen kann. Das wird eine zentrale Aufgabe künftiger Führungskräfte sein: in Unternehmen einen guten, begeisterungsfähigen Geist kultivieren, nähren, pflegen. Unternehmensführung ist mehr eine Kunst des Gärtnerns als eine Ingenieurskunst.
„Das ist in meinen Augen der Dreh- und Angelpunkt des Mindset-Wandels: dass er Raum für Begeisterung, Sinn und Werte schafft – und dadurch die Freude in Unternehmen zurückkehrt.‟
TheNextWe: Und was brauchen Mitarbeiter, um angesichts der nicht enden wollenden Krisen nicht zu ermüden?
Christoph: Genau das, wovon ich gerade sprach: Begeisterung – eine Unternehmenskultur, in der sie mit Freude und Begeisterung ihrer Arbeit nachgehen können: die ihnen die Gewissheit gibt, etwas Sinnvolles zu tun; und in der die Führungskräfte tagein, tagaus den guten Geist des Unternehmens manifestieren. Das ist in meinen Augen der Dreh- und Angelpunkt des Mindset-Wandels: dass er Raum für Begeisterung, Sinn und Werte schafft – und dadurch die Freude in die Unternehmen zurückkehrt.
TheNextWe: Hast du einen philosophischen Lesetipp für Entscheider?
Christoph: Naja, natürlich muss ich bei dieser Gelegenheit eines meiner Bücher empfehlen: „Nicht denken ist auch keine Lösung. Wie Sie gute Entscheidungen treffen.” Erschienen bei Gräfe & Unzer.
TheNextWe: Christoph, wir danken dir für das Gespräch.