In diesem Club-Gespräch fassen wir die Highlights unserer Podcast-Folge „In transformationis spiritu" zusammen. Das ganze Gespräch von Bischof Felmberg und TheNextWe-Mitgründerin Insa Klasing ist hier zu hören.
Insa: Unser Gast heute ist Bischof Doktor Bernhard Felmberg. Er ist der Militärbischof der Bundeswehr, ein Bischofsamt, was gar nicht so bekannt ist in der Öffentlichkeit. Die ZEIT schrieb aber kürzlich, dass es eines der wichtigsten Bischofsämter überhaupt ist. Er ist ein brillanter Theologe. Aber keine Sorge, an alle, die jetzt denken „Oh Gott – jetzt sprechen sie 30 Minuten über die Bibel”: Ich glaube nicht, dass es dazu kommt. Denn unser Gast war immer auch ein Brückenbauer. Unter anderem war er als Prälat, also als Bevollmächtigter der evangelischen Kirche in Bundestag, Bundesregierung und der Europäischen Union tätig, später auch als Ministerialdirigent im Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung. Und neben Bundeswehrpolitik und Kirche können wir auch über Sport sprechen, denn Bischof Felmberg ist der Gründer der Kapelle im Olympiastadion, einem ganz besonderen Ort. Bischof Felmberg, ich freue mich sehr, dass Sie heute bei uns sind, um über Mindset-Wandel zu sprechen.
Bernhard Felmberg: Herzlichen Dank. Ich mich auch.
Insa: Vielleicht fangen wir gleich mal mit der Kirche an. Ich würde sagen, die Kirche ist der größte Transformations-Case, den man sich vorstellen kann. Seit Jahrzehnten schwinden die Konsumenten, könnte man fast sagen, die Mitglieder. Warum ist es unglaublich schwierig für diese Institutionen, Mindset-Wandel zu leben?
„Es ist eine Umstellung für die evangelische Kirche, dass man auf einmal nicht mehr der mit Abstand größte Anbieter eines religiösen Mindsets in Deutschland ist."
Bernhard Felmberg: Die Evangelische Kirche ist jetzt seit 500 Jahren unterwegs, und sie ist mit den Dingen, die Luther hervorgebracht hat – Gottesdienst in deutscher Sprache, Gesänge und so weiter – enorm nach oben gekommen. Und sowohl die Katholische als auch die Evangelische Kirche waren in Deutschland diejenigen, die die Claims abgesteckt haben. Fast 100% der deutschen Bevölkerung gehörten der einen oder anderen Kirche an, das ging bis weit in die 60er Jahre hinein. Und dann ist das etwas gebröckelt und wir merken, dass wir nach der Wiedervereinigung einen stärkeren Säkularisierungsschub haben. Das ist natürlich für eine Großinstitution in einer Zeit, wo die Individualität viel stärker gelebt wird als das große Gemeinschaftliche, eine riesige Herausforderung. Von daher ist es eine Umstellung für die evangelische Kirche, dass man auf einmal nicht mehr der mit Abstand größte Anbieter eines religiösen Mindsets in Deutschland ist. Dann ist eine riesige Umstellung, umzuschalten in eine Situation, wo man immer gesagt hat: „Die Leute, die kommen zu uns automatisch” – und auf einmal macht man die Erfahrung: Nein, die Leute kommen nicht mehr und bringen ihre Kinder zur Taufe. Die Leute lassen sich nicht mehr konfirmieren. Die Leute kommen nicht mehr zur Trauung, sondern sie veranstalten fröhliche Veranstaltungen jenseits der Kirche. Sich darauf einzustellen. braucht Zeit und der Mindset-Wandel – heißt, so wie Jesus das immer gesagt hat: „Geht hin in alle Welt”, ja, manchmal reicht auch schon, „gehe hin vor die Kirchentür, gehe hin um die Ecke, in den Hauseingang, gehen hin zu deinen Leuten und mach wieder das publik, was anscheinend in Vergessenheit gerät”. Dieser Mindset-Wandel ist eine enorme Herausforderung, weil wir es ja nicht mit einem Startup zu tun haben, sondern mit einer Großinstitution, in der viele zigtausend Menschen arbeiten. Die Kirchen, beide sind neben dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber der Bundesrepublik Deutschland. Und das zu verändern, das ist eine riesige Herausforderung.
Insa: Das ist ja, wenn Sie das so beschreiben, ein Mindset-Wandel: Weg von einem Mindset des Wartens und Empfangens, also „ich stehe auf der Kanzel und die kommen schon hin”, hin zu einem Werben und zu einem Einladen.
Bernhard Felmberg: Die evangelische Kirche und jede einzelne Gemeinde muss heute viel stärker werden. Man muss damit ja auch eine ganz andere Struktur leben und eine innere Haltung anders leben. Das heißt, ich muss mir auch überlegen: Wie erreiche ich denn die Leute, die nicht mehr die Bibel als klare Grundlage des Lebens und des Lesens haben? Da geht es ja auch um die Art, wie man kommuniziert. Also das heißt, wir müssen natürlich auch auf Social Media gehen, wir müssen unsere Botschaft kurz und knapp mitteilen können, denn die intensive Zeit, 40 Minuten einer Predigt zuzuhören, die wirst du heute bei jungen Menschen nur noch selten finden. Deshalb versuche ich hier in der Militärseelsorge auch mal Minuten-Andachten aufzulegen. Und es ist erstaunlich, was man in einer Minute alles sagen kann.
Insa: Ich habe vor ein paar Jahren mal die Weihnachtsgeschichte in einer Minute von ihnen gehört. Ich war ganz begeistert, was man tatsächlich alles weglassen kann, um zum Kern vorzudringen. Was braucht das für einen Mindset-Wandel unter dem Führungspersonal der Kirche, dass sie wirklich von Empfängern, die wie gesagt in Ruhe auf ihrer Kanzel stehen können, zu Werbern werden?
Bernhard Felmberg: Also wir haben ja eine Finanzierungsart in Deutschland, obwohl wir natürlich auch Kollekte sammeln, aber wir haben in Deutschland die Kirchensteuer. Das andere ist: Wie kriege ich eigentlich die Botschaft, die eine frohe Botschaft ist, mitgeteilt? Wie kriege ich die eigentlich wieder unter die Menschen? Ich glaube, das muss in die Ausbildung hinein, da muss man auch sehr genau hingucken: Wer will eigentlich Pfarrer oder Pfarrerin werden? Sind es Menschen, die wirklich angetrieben sind? Sind es Verwalter des Wortes Gottes? Oder sind es Gestalterinnen und Gestalter, und ich setze eher auf Kolleginnen und Kollegen, die gestalten wollen, die wirklich getrieben sind von etwas.
„Wir brauchen eine Kirche, die mit und unter den Menschen lebt und nicht über die Gesellschaft spricht, sondern wirklich Gesellschaft gestaltet."
Insa: Es ist interessant, wenn man darüber nachdenkt: Welche Absicht haben Menschen, wenn sie eine Berufsgruppe wählen? Es ist ja tatsächlich so, dass heute sehr schöne Dorfkirchen einfach nur noch alle 3 Wochen, geöffnet sind, weil der zuständige Pfarrer viele Orte abdecken muss. Also der Leidensdruck muss doch, selbst wenn der Gehaltscheck noch kommt, auch dort doch zunehmen und zu einem Umdenken führen, oder?
Bernhard Felmberg: Ja, der Leidensdruck ist, glaube ich, für jeden spürbar. Das heißt, jeder Pfarrer, jede Pfarrerin ist gut beraten, sich zu überlegen, wie man diese Situation ändern kann. Und das ist natürlich auch eine Frage derer, die Verantwortung tragen, die die Ausbildung machen, die sozusagen die Pfarrerinnen und Pfarrer in ihrem täglichen Leben unterstützen sollen. Das ist eine Riesenaufgabe, und von daher hoffe ich sehr, dass die Kirchen zu den Menschen gehen, denn ich merke in meinem Beruf als Militärbischof, dass, wenn wir als Kirche bei den Menschen sind, also wirklich ein offenes Ohr haben, ansprechbar sind – dass dann auf einmal die Bereitschaft da ist, zu kommen, dabei zu sein und das auch als ein Angebot wahrzunehmen, was wirklich im eigenen Leben weiterhilft.
Und ich glaube, wir brauchen Pfarrerinnen und Pfarrer und wir brauchen eine Kirche, die mit und unter den Menschen lebt und nicht nur über Menschen und über die Gesellschaft spricht, sondern wirklich Gesellschaft gestaltet.
Insa: Jetzt gibt es in der Bundeswehr, wie überall natürlich auch kollektive Mindsets-Wandel-Themen. Ich denke da zum Beispiel an das Thema „Afghanistan”. Da könnte man auf den ersten Blick meinen, dass diese ganze Investition, diese ganzen Entbehrungen – es sind Menschen gefallen für diesen Kampf, für den Traum von Demokratie in Afghanistan – dass das alles umsonst war. Wie begegnet man dem aus Mindset-Sicht als Militärbischof?
Bernhard Felmberg: Das hat die Truppe sehr verunsichert und auch zum Teil traumatisiert. Da haben Sie Recht. Und wir als Kirche haben darauf so reagiert, dass ich gesagt hab’: Wir müssen versuchen, den Hinterbliebenen, die Soldaten in Afghanistan verloren haben, hier eine Möglichkeit geben, im Gebet und in einer Andacht zum Frieden zu kommen. Und das haben wir dann an dem Tag gemacht, als hier der große Abschlussappell war, am 13. Oktober. Und wissen Sie, ich habe selten für vier Minuten so lange an einem Text gesessen, weil ich gesagt habe: „Du kannst alles nur falsch sagen. Das, was diese Menschen in ihrem Herzen tragen, was sie erlebt haben, wie der Schmerz sich anfühlt.”
Insa: Wir haben in der Truppe diesen Spannungsbogen, Mindset im Inneren, Verletzlichkeit und Stärke und Waffen im Außen. Im Sport kennen wir das aber auch. Die starke Mannschaft, die zur Weltmeisterschaft im Olympiastadion für den Sieg antritt, aufs Feld zieht – und gleich nebenan ist die Kapelle, die Sie mitgegründet haben. Wie passt das zusammen, himmlische Ruhe und die Hölle des Fußballkommerz?
Bernhard Felmberg: Ja, da geht es um Sieg und Niederlage im Leben. Und was bin ich bereit zu tun, um Siege einzufahren? Das ist nicht nur eine sportliche Frage, das ist eine Frage fürs wirtschaftliche Leben, für alles. Würde ich wirklich Erfolg in Kauf nehmen, wenn meine Seele daran leidet oder Schaden nimmt? Und die Idee war, den Sportlerinnen und Sportlern und den Fußballspielern von Hertha BSC hier eine Möglichkeit zu geben, mit Gott ins Gespräch zu kommen und darüber nachzudenken, ob ihr menschliches Leben wirklich nur daran gemessen wird, ob sie ein Tor schießen oder nicht. Das ist sehr gut angenommen worden bisher. Also, wir feiern jedes Mal vor jedem Heimspiel von Hertha BSC einen Gottesdienst. Das heißt nicht, dass die deshalb besser spielen. Aber es gibt Menschen, die sehr wohl merken, dass sie sich durch Gott gehalten fühlen. Gerade in Situationen, wo sie sportlich nicht auf der Höhe sind. Und das sieht ja von außen immer sehr entspannt aus und sehr leistungsgerecht , aber gerade im Spitzensport gibt es natürlich viele, die auch schnell durchs Raster fallen, die viele Jahre auf diese „Bleistiftspitze Bundesliga” hingearbeitet haben. Aber von dieser Bleistiftspitze fällt man eben auch ganz schnell wieder runter, entweder wenn man verletzt ist oder weil man im Endeffekt seine Fähigkeiten, die dann als großes Talent ausgegeben werden, doch nicht jeden Samstag aufs Spielfeld bringt. Und da können Sie sich ja vorstellen, hat die Seele auch was zu tun und der Pfarrer oder der Bischof auch was zu sagen. Und von daher fand ich es immer hoch attraktiv, christliche Verkündigung im Rahmen von Spitzensport zu betreiben. Und das machen wir jetzt seit 2006 regelmäßig, sei es bei großen Wettbewerben, Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Wir machen es auch in der Fußball-Bundesliga, und das macht einfach Spaß.
Insa: Das glaube ich sofort, dass das Spaß macht. Wenn ich mich in diesen Spieler, der aussortiert wird, reinversetze, dann bewirkt ja die Seelsorge, so wie sie es beschrieben haben, ein neues Mindset von: „Ich bin nicht meine Ergebnisse.” Denn man kommt ja sehr schnell darauf, zu denken „Ich bin nicht mehr dabei, also bin ich nicht gut genug”.
Bernhard Felmberg: Ja, und „ich bin nichts mehr wert". Dieser Wertbegriff ist, wenn man ihn so zu Ende denken würde, extrem gefährlich. Wenn eine Gesellschaft den Menschen nur so bemisst, sind wir schnell bei Aussortierung. Das ist im christlichen Menschenbild nicht vertretbar, und von daher muss man solchen jungen Männern, die natürlich sehr fokussiert sind auf ihren Beruf auch sagen: „Das Leben ist größer als das Fußballfeld, und auch dein Leben ist größer als das Fußballfeld.” Und selbst da kannst du mit dem Wort Gottes Vertrauen schenken, denn Vertrauen ist die Grundlage dafür, dass du auch leistungsmäßig weiterkommst, als du glaubst. Häufig liest man in der Bibel den Satz: „Der Glaube macht alles möglich” und da ist was dran.
Insa: Und zu guter Letzt: Wenn ich eine Fee wäre und sie könnten, lieber Bischof Felmberg, sich etwas wünschen, einen Mindset-Wandel für unsere Gesellschaft in Deutschland. Was wäre das?
Bernhard Felmberg: Also liebe gute Fee, ich finde, dass unsere Gesellschaft in Deutschland immer stärker segregiert. Jeder ist in seiner Blase. Wenn ich in meine Facebook- oder Instagram-Accounts gucke, könnte ich denken, ganz Deutschland ist evangelisch und christlich, denn alle, die mir folgen, haben in irgendeiner Form was mit dem Glauben zu tun. Und so ist die Welt nicht. Und das gilt für alle anderen Bereiche ähnlich. Ich sehe eine Riesengefahr darin, dass jeder nur noch bestätigt wird in den Gedanken, die er selber hat, sich mit den Menschen abgibt, die das denken, was er selbst denkt. Und ich würde mir wünschen, dass wir wieder stärker Brücken bauen, dass wir uns stärker öffnen, dass wir wieder andere Argumente zulassen und nicht so schnell Verbote des Denkens und des Sprechens aussprechen. Und wenn wir wieder eine offene Gesellschaft werden, die anderes hört, dann, glaube ich, brauchen wir uns über die Zukunft hier in Deutschland keine Sorgen machen.
Insa: Ganz herzlichen Dank.